Das Interview mit Anja, das im August 2023 aufgenommen wurde, macht Mut. Mut, weil eine Frau zu sehen ist, die im Juli 2023 noch überlegt hatte, einen Pflegegrad zu beantragen und das Haus ohne Rollator und Begleitung nicht verlassen konnte, und die nun aufgrund der stationären Behandlung in einer therapeutischen Einrichtung in der Lage war, ohne Hilfsmittel vom Auto zum Drehort zu gehen, und sich dort über eine Stunde lang zu unterhalten.
Anjas Leidensweg begann sieben Tage nach der 2. Impfung im Januar 2021. Als Klinikmitarbeiterin mit täglichem Patientenkontakt gehörte sie zur sogenannten priorisierten Gruppe. Und so ließ sie sich, trotz eines schlechten Bauchgefühls, an zwei Tagen im Januar 2021 im Abstand von 3 Wochen mit dem Impfstoff der Firma BioNTech/Pfizer impfen. „Es war ganz normal, dass das ganze Krankenhaus sich da impfen lässt“, schildert sie. So hat sie aufkommende Bedenken angesichts des Szenarios eines Betriebsausfluges verdrängt.
Hat sie die erste Impfung noch gut vertragen, sie litt lediglich einige Tage unter starken Kopfschmerzen, bemerkte sie 2-3 Tage nach der zweiten Spritze, dass „irgendwas mit mir nicht stimmt, irgendwas ist komisch.“ Die Symptome verstärkten sich, sie hatte Krämpfe in den Händen und Füßen, konnte nicht mehr richtig gehen. So suchte sie eine Woche der der zweiten Injektion einen Neurologen im Krankenhaus auf. „Ich weiß nicht, was das ist.“ Die neurologische Untersuchung ergab jedoch keinen krankhaften Befund. Sie solle mehr Magnesium nehmen, so die Empfehlung. Doch immer mehr Symptome wie Schwindel, unsicherer Gang „wie betrunken“, Schwierigkeiten bei der Auge-Hand-Koordination, Sehstörungen kamen hinzu, so dass sie im März unter Tränen eingestehen musste: „Ich kann nicht mehr“. In der Hoffnung, nach einer Auszeit im Juni wieder arbeiten zu können, nahm sie im April Überstunden und im Mai Urlaub. Doch weit gefehlt. Anjas Zustand verschlechterte sich zusehends, selbst den Urlaub konnte sie nur sitzend mit Sonnenbrille verbringen, Autofahren war nurmehr liegend und nachts möglich. Ständige brennende Schmerzen, Kraft- und Energielosigkeit, Schluckstörungen, Gedächtnis- und Wortfindungsstörungen kamen hinzu und wurden, zusammen mit den anderen Symptomen, ihre ständigen Begleiter. Versuchte sie zunächst noch, ihrer beruflichen Tätigkeit im Home Office bei freier Zeiteinteilung nachzugehen, musste sie sich irgendwann eingestehen, dass selbst dies nicht mehr möglich war.
Im Jahr 2021 folgten mindestens fünfzig Arztbesuche bei Ärzten verschiedenster Fachrichtungen, immer in der Hoffnung, zum Jahresende 2021 wieder arbeitsfähig zu sein. Interessanterweise formulierte ein Rheumatologe schon im Jahre 2021 die Diagnose „Long-Covid-ähnliche Symptome nach Impfung“. Auch eine Neurologin stellte im Gespräch mündlich einen Zusammenhang mit der Impfung her, da sie „schon öfters gehört“ habe, „dass neurologische Probleme auftreten nach der Impfung. Aber das würde wieder weggehen. [..] Man geht davon aus“. Leider wurde dieser postulierte Zusammenhang in der schriftlichen Diagnose nicht formuliert. Hier beschränkte sich die Medizinerin lediglich auf „Muskelkrämpfe“. Für Anja ein Schlag ins Gesicht.
Da Arztbesuche und das Verlassen des Hauses nurmehr mit Hilfe ihres Mannes möglich waren, beendete ihr Mann zum 1.1.2022 seine berufliche Tätigkeit, um sich ausschließlich Anjas Pflege widmen zu können. „Ohne meinen Mann wäre ich untergegangen“. Auch wenn sie diesen Liebesbeweis als großes Geschenk werten kann, ist es dennoch eine große Belastung für sie, dass ihr Mann „alles alleine machen“ müsse.
„Wenn du niemand hast, du bist aufgeschmissen, du kommst nicht zum Arzt, du kommst nicht zum Einkaufen, was machst du? Und es wird nicht anerkannt als Pflegegrad, es wird nicht anerkannt als Schwerbehinderung, es gibt auch keine Unterstützung.“
Enttäuscht von den Ärzten bestimmte Anja ihre Behandlung zunehmend selbst, da sie die schmerzhafte Erfahrung machen musste, von den Medizinern nicht ernst genommen zu werden, ihr keine richtige Diagnose gestellt und, außer dem Wirkstoff Alphaliponsäure, auch kein hilfreiches Medikament empfohlen und zudem jeder Zusammenhang zur Impfung abgewehrt wurde. „Das tut weh“. Denn für Anja liegt es auf der Hand, dass die Impfung die Ursache für ihre Erkrankung gewesen sein musste,
„[…] weil es so plötzlich mich so ausgebremst hat von 180 auf 0 […] Das kann keine andere Erkrankung. […] Jedes Medikament, jedes Nahrungsergänzungsmittel hat Nebenwirkungen. Und warum soll diese Spritze jetzt keine haben?“
So begann sie nach intensiver Internetrecherche mit der Einnahme vieler verschiedener Nahrungsergänzungsmittel, deren Wirkung und Sinnhaftigkeit sie selbst eruiert, und die sie sich auch selbst besorgt und finanziert hatte. Das Behandlungsschema der therapeutischen Einrichtung, in der sie sich zum Zeitpunkt des Interviews befand, und in der sie deutliche Besserung ihres Zustandes erfahren durfte, gibt ihr recht: Auch hier wird, allerdings per Infusion, mit hochdosierten Vitaminen, Mineralstoffen, Aminosäuren gearbeitet. Zudem wurde von den Ärzten der Einrichtung die Diagnose ME/CFS gestellt, eine neuroimmunologische Erkrankung, unter der die meisten Impfgeschädigten leiden.
Anja gibt trotz dieser Diagnose nicht auf. Sie will BioNTech verklagen, denn „die haben mir mein Leben geraubt.“ Zudem ist sie aktiv in mehreren Selbsthilfegruppen. Dort organisieren sich „sehr viele Menschen“, die meisten ebenfalls an den ihr so gut bekannten Symptomen wie Müdigkeit, Erschöpfung und neurologischen Problemen leidend. Gemeinsam mit diesen ist sie auch politisch aktiv geworden, hat ihre Landtagsabgeordneten angeschrieben, um Hilfe zu bekommen.
„Wir brauchen Hilfe, dass es überhaupt anerkannt wird, dass es bekannt wird, dass es Leute gibt, die […] Impfschäden haben und wirklich schwer betroffen sind.“
Bisher werden Post-Vac-Geschädigte als Long-Covid-Kranke gelabelt. Auch die Long-Covid-Ambulanz, bei der sich beworben hatte, gibt PostVac-Patienten eigentlich keinen Termin.
„Die sagen nein, sie machen nur Long-Covid. Und ich hab ja kein Corona gehabt, als kann ich nicht in die Long-Covid-Ambulanz. […] Ich hab mit denen so lange diskutiert, bis ich einen Termin gekriegt hab. […] Die haben nur psychologische Tests gemacht.“
Und so wurde auch ihr eine sogenannte F-Diagnose gestellt, was sie „ganz wild“ gemacht habe. „Für F-Diagnosen kriegen die Ärzte mehr Geld“, berichtet sie ernüchtert. Viele Betroffene aus ihrer und anderen Selbsthilfegruppen hätten eine psychiatrische Diagnose akzeptiert, um Leistungen wie Schwerbehinderung, Rente oder einen Pflegegrad zu erhalten.
„Aber das will ich nicht. […] Das ist nicht mein Weg. Das ist nicht gerecht. […]. Es geht darum, dass diese Erkrankung anerkannt werden muss.“
Bitter beklagt sie, dass man bei „Post-Vac gar nichts kriegen“ würde, dass sie und ihre Leidensgenossen „unsichtbar“ bleiben würden.
„Es ist nicht in Ordnung, [..] dass man da nicht offen drüber sprechen darf, dass die Ärzte nicht drüber sprechen dürfen, dass man keine Diagnose kriegen darf, dass ich als Patient komisch angeguckt werde. [..] Es müssten sehr viele Leute sich entschuldigen.“
Entschädigung sei notwendig, so ihre deutliche Forderung.
Anja ist froh und dankbar, dass sie durch die interdisziplinäre Behandlung in der therapeutischen Einrichtung die Erfahrung machen darf, dass ihre quälenden Symptome mit den richtigen Behandlungsschritten rückläufig sind und ist fest entschlossen, diese Therapie zu Hause fortzuführen.
„Den Zustand, so wie es jetzt ist, [..] möcht ich gern behalten. [..] Ich möchte wieder am Leben teilhaben.“
Leider hat sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Interviews im März 2024 Anjas Zustand wieder deutlich verschlechtert, da es ihr nicht möglich war, die eingeleitete Infusionstherapie zu Hause ambulant in dem Maße fortzuführen, wie es für ihre weitere Genesung notwendig gewesen wäre. Dennoch betont sie, dass es für sie eine hoffnungsspendende und mutmachende Erfahrung war, zu erleben, dass ihr Körper trotz der schweren Schädigung, die er erlitten hat, regenerieren kann, wenn ihm nur die richtigen Baustoffe und Heilungsimpulse zur Verfügung gestellt werden. Wir wünschen ihr und allen Betroffenen, dass zeitnah die hilfreichen Behandlungsschemata, Infusionen und Nahrungsergänzungsmittel flächendeckend angeboten und von den Kassen finanziert werden.
ME/CFS
Anja, 62 Jahre
Geschädigt durch die Impfung mit Comirnaty im Januar 2021
Bis zu meiner Erkrankung, ausgelöst durch die Impfung mit Comirnaty im Januar 2021, war ich ein unternehmungslustiger, spontaner Mensch, eine richtige Powerfrau im Beruf und im Privatleben. Dann wurde ich ausgebremst. Ich bin seither auf Unterstützung durch meinen Mann angewiesen, hausgebunden und rollstuhlpflichtig.
Ich bin unsichtbar und unbequem- … für die Pflegekasse, die bei Erwähnung der Impfung als Ursache für die Erkrankung ME/CFS trotz schwerer Pflegebedürftigkeit den entsprechenden Pflegegrad ablehnt und auch im Widerspruchsverfahren von einer »weitgehend selbstständigen Versorgung« bei fast 24-stündiger Bettlägerigkeit mit Rollstuhlpflicht ausgeht. Mir wurde im September 2023 lediglich Pflegegrad 1 zugesprochen, was meinen Zustand keinesfalls widerspiegelt.
- … für das Versorgungsamt, das die von Fachärzten diagnostizierten Erkrankungen ignoriert, eine »psychische/somatoforme Störung« mit Simulationsneigung unterstellt und die dringend
notwendigen Merkzeichen »B« und »aG« verweigert. - … für das Sozialgericht, das bei einer definitiv neurologischen Erkrankung einen orthopädischen Gutachter beauftragt und meinen Hinweis, dass dies nicht passend sei, mit dem Verweis auf »Mitwirkungspflicht« und Entscheidungshoheit des Gerichtes abwürgt.
- … für die Krankenkasse, die die Kostenübernahme für eine hilfreiche Infusionstherapie ablehnt, obwohl ich in den vergangenen drei Jahren sämtliche Therapieversuche und Medikamente selbst
bezahlt habe.
Es ist für den gesunden Menschenverstand unbegreiflich, warum Personen, die definitiv durch die Impfung geschädigt wurden, ignoriert, stigmatisiert, als Simulanten verunglimpft werden, nicht die entsprechenden Hilfsmöglichkeiten erhalten. Wenn derzeit schon keine Therapien und keine zugelassenen Medikamente zur Verfügung stehen, wäre es zumindest angebracht, den Alltag der Betroffenen ein wenig zu erleichtern. Wir sind doch keine Impfgegner, sonst hätten wir uns nicht impfen lassen.
Wir Betroffenen werden alleine gelassen. Wir haben große gesundheitliche Probleme, doch Ärzte und Ämter sind hilflos und überfordert, weil die PostVac-Erkrankung eine recht unerforschte Reaktion des Körpers ist. Hinzu kommt noch für uns Betroffene, dass Impfschäden ein gesellschaftliches Tabu-Thema sind.
Ich bin am Ende meiner Kraft im Kampf gegen die Windmühlen der Ignoranz und gegen die Unsichtbarkeit. Es gibt mittlerweile so viel Wissen über unsere Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS, ICD10:G93.3) als Folge der Impfung, ausgelöst durch das Spike-Protein, also durch die gleiche Ursache wie Long Covid**, aber ich wehre mich dennoch gegen die von Mertens/STIKO vorgeschlagene Lösung*, mich als »Long Covid-Patientin« auszugeben, weil das für mich eine Lüge wäre.
Quellen:
*STIKO: »Post Vac« nicht als Krankheit eingestuft
Das bestätigte Prof. Thomas Mertens, der Chef der »Ständigen Impfkommission« (STIKO) des Robert Koch-Instituts (RKI), am 25. Mai im SWR-Fernsehmagazin »Zur Sache! Baden-Württemberg«: Sowohl das PEI als auch sein europäisches Pendant, die EMA in Amsterdam, hätten »das sogenannte ›Post-Vac-Syndrom‹ nicht als Krankheit eingestuft«. Außerdem betrachteten beide Impfstoffüberwachungsbehörden einen Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und »Post Vac«-Beschwerden nicht als »ausreichend erwiesen«.
Er selbst sieht »das Problem« darin, dass es sich beim »Post-Vac-Syndrom« um eine »sehr vielfältige Symptomensammlung« handele und »keine gültige Falldefinition« existiere. Dies zu ändern, sei Aufgabe der »klinischen Medizin«.
Mertens empfahl einer Betroffenen, ihren Verdacht auf Impfschaden bei den Ärzten gar nicht erst zu erwähnen, um ihre Chancen zu erhöhen, dass die Krankenkasse wenigstens die Kosten ihrer Behandlung übernimmt: »Wenn jemand, wenn Sie zum Beispiel jetzt zum Arzt gegangen wären und nicht gleich mit der Erkenntnis, dass es … Impfen hervorgerufen… Beschwerden [sic], dann würden doch diese Behandlungen, die darauf folgen würden, sicherlich krankenkassenüblich sein.«
** Mittlerweile will auch das Paul-Ehrlich-Institut (Pei) Meldungen zu Impfnebenwirkungen erfassen, Post Vac untersuchen und bereitet mit der Medizinischen Hochschule Hannover eine Studie vor. Sie soll PatientInnen etwa per MRT und Blutanalysen untersuchen und somit charakterisieren, was die Erkrankung ausmachen könnte. Dabei soll es auch darum gehen, was die Beschwerden, die Menschen nach einer Impfung berichten, von Post Covid und dem Chronischen Fatigue-Syndrom unterscheidet, auch Myalgische Enzephalomyelitis genannt, kurz ME/CFS. Auch die letzteren beiden scheinen zusammenzuhängen, denn schwere Fälle von Long oder Post Covid erfüllen oft die Diagnosekriterien (https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/long-covid-me-cfs-marina-weisbrand-carmen-scheibenbogen/komplettansicht) für ME/CFS (https://www.zeit.de/gesundheit/2022-07/post-vac-syndrom-corona-impf.., 02.07.2022).